Symposium mit Festbankett – Kleinstadt-Adel bleibt unter sich

Der gestrige Tag war so angefüllt mit schönen, aber auch lustigen Begebenheiten, dass ich heute erst zum Luft holen und Sortieren komme. Ein weniger schönes Erlebnis, das schon etwas skurril, aber symptomatisch für unsere Kleinstadt-Politik ist, möchte ich erzählen.

Nachdem ich den ganzen Vormittag mit einer interessanten Spurensuche für das Stadtarchiv beschäftigt und dabei teilweise in der Stadt unterwegs war, rief mich eine sehr aktive, aber auch äußerst resolute, gerade 80 Jahre alt gewordene Dame aus meinem Arbeitskreis Stadtgeschichte an: „Damit Sie informiert sind: Ich habe die Kulturtante unserer Stadtverwaltung gerade eben zweimal telefonisch zusammen- und wieder auseinandergefaltet.“ Das ist an sich nichts ungewöhnliches, denn erstens faltet diese resolute Dame öfter mal jemanden aus der Stadtverwaltung zusammen- und wieder auseinander, und zweitens ist sie mit der seit einem Jahr bei uns arbeitenden Kulturtante schon öfter aneinander geraten.

Der Grund war ein Zeitungsartikel von gestern, also Donnerstag, der auf ein wissenschaftliches Symposium in unserer Kleinstadt hinwies, welches am Sonntag stattfindet. Der Anlass für dieses Symposium ist die Aufhebung der Leibeigenschaft in unserer Gegend vor 200 Jahren. Die Mitstreiterin aus meinem Arbeitskreis Stadtgeschichte hatte nach der Lektüre des Artikels die Kulturtante angerufen und gefragt, ob das Symposium öffentlich ist (ging aus dem Presseartikel nicht hervor) und ob es einen Zeitplan für die Vorträge gibt, denn sie wollte gern einige Vorträge hören. Die Kulturtante geriet daraufhin ins Stottern. Nein, das Symposium sei nicht öffentlich, denn es ist verbunden mit einem Festbankett für geladene Gäste und die Stadtvertreter, und wenn jetzt noch spontan jemand dazukäme, dann reiche das Essen nicht. Daraufhin kam dann das „Zusammenfalten“ mit ungefähr folgendem Inhalt: „Wir haben in unserer Kleinstadt einen aktiven Arbeitskreis Stadtgeschichte mit 6 Bürgern, die immer dann springen, wenn die Stadtverwaltung pfeift, thematische Stadtrundgänge durchführen, das Stadtjubiläum durch mehrere Publikationen begleitet haben und immer mal wieder die Ergebnisse ihrer Forschungen in der Öffentlichkeit und in der Presse präsentieren. Wäre es da nicht angebracht, die sechs aktiven Bürger zu so einem wissenschaftlichen Symposium, welches sich mit Geschichte beschäftigt, auch einzuladen? Im übrigen interessiert mich das Festessen nicht, denn ich will einfach nur die Vorträge hören!“

Die resolute Frau hat absolut Recht. So etwas darf in einer demokratischen Gesellschaft nicht passieren. Wir sollten in unserer Kleinstadt froh sein über jeden ehrenamtlich Tätigen, und diese fleißigen Bürger nicht brüskieren, sondern hofieren. Und zwar mehr hofieren als den zu solchen Gelegenheiten stets geladenen Kleinstadt-Adel.

Die Vorbereitungen zu diesem als Symposium getarnten Festbankett verliefen still und heimlich. Es gab im Frühjahr mal einen Artikel über geplante Aktivitäten zum Jubiläum der Aufhebung der Leibeigenschaft. Im Sommer gab es ein Sommerfest für alle Einwohner und Kinder mit lockerem Bezug zu diesem Jubiläum. Und ein Mitstreiter unseres Arbeitskreises Stadtgeschichte, der auch Funker ist, hatte ein besonderes Funk-Ereignis mit spezieller Funkverbindung und QSL-Karte organisiert. (Dazu war er gut genug, aber als Gast beim Festbankett war auch er offensichtlich nicht erwünscht.) Langfristig hatte ich im Hinterkopf, dass es ein wissenschaftliches Symposium geben sollte, aber irgendwie hatte ich von diesem Symposium nie wieder etwas gehört. Meist gibt es ja vorher Plakate, Pressemeldungen, Internet-Werbung auf der Homepage, vorbereitende Zusammenkünfte im Amt oder interne Rundmails der Stadtverwaltung und persönliche Einladungen (wäre für mich als Stadtarchivarin ja auch angebracht gewesen)- aber diesmal ruhte still der See, so dass ich es angesichts meiner vielseitigen sonstigen Arbeit irgendwie völlig vergessen hatte, dass überhaupt ein Symposium stattfinden sollte.

Es war schon Nachmittag, als ich einen sehr unauffälligen weißen Zettel las, den mir eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung auf der Straße eilig zugesteckt hatte, als ich gerade in Sachen Stadtgeschichte unterwegs war. Den Zettel sollte ich öffentlich aushängen. Siehe da, auf dem eilig geschriebenen Zettel war der Ablaufplan des Symposiums, jedoch wieder ohne Zeiten für die einzelnen Vorträge, mit dem Hinweis, dass die Veranstaltung öffentlich ist. Sonst gib es immer zwei bis drei Wochen vor so einem Event große Plakate mit (seit die neue Kulturtante am Ruder ist) knalligen Farben. Als ich im Internet auf der Unterseite „Veranstaltungen“ unserer Kleinstadt nachschaute, fand ich auch einen zeitlich nicht genau definierten Ablaufplan mit dem Hinweis, die Veranstaltung sei öffentlich. Das Wort „öffentlich“ schien hier nachträglich schnell eingefügt worden zu sein, denn es fehlten Leerzeichen. Allerdings sind wichtige Veranstaltungen unserer Kleinstadt sonst immer schon auf der Startseite unserer Homepage zu finden, deshalb schaut eigentlich kaum jemand unter der Rubrik „Veranstaltungen“ nach. Und was nützt es, Veranstaltungen – ob kurz- oder langfristig – als öffentlich zu deklarieren, wenn man sie nicht ausreichend vorher öffentlich bewirbt?

Fazit meiner resoluten Dame: „Die sollen ihr elitäres Festbankett mal schön allein essen. Ich bin nicht interessiert, die Aufhebung der Leibeigenschaft zu feiern, denn schließlich hat dieselbe adlige Familie, die die Leibeigenschaft in unserer Gegend aufgehoben hat, diese Menschen verachtenden Verhältnisse ja auch irgendwann eingeführt! Und wenn noch einmal jemand fragt, ob ich in stadtgeschichtlicher Mission tätig werde – springe ich nicht! Denn ich bin ja frei und nicht leibeigen.“ Ein anderer ehrenamtlicher Mitstreiter aus dem Arbeitskreis, der mich an diesem Tag auf stadtgeschichtlicher Spurensuche begleitete und deshalb das Geschehen live miterlebte, sagte spontan zu mir: „Hattest du nicht vor, dich woanders zu bewerben! Tu das! Wenn das hier so weiter geht, wirst du nicht glücklich sein!“ Recht hat er eigentlich. Ohne Ehrenamt geht es nicht, und wie soll ich weiterhin Ehrenamtliche werben, wenn die Stadtverwaltung diese Menschen so brüskiert?

Und wenn ich jetzt noch einmal den Text überfliege und über diese Geschichte nachdenke, hoffe ich nur, dass für diese elitäre Sause keine Fördermittel aus öffentlicher Hand geflossen sind!

Betriebsweihnachtsfeier – nein danke!

Ein Weihnachtsmuffel bin ich im allgemeinen nicht, aber ich schwänze gern mal die Weihnachtsfeiern unserer Stadtverwaltung. Die Kollegen von der Kernverwaltung feiern sonst meist unter sich, z. B. den Frauentag, Geburtstage, Jubiläen oder Verabschiedungen in den Ruhestand. Zur Weihnachtsfeier werden immer höflicherweise die Außenstellen mit eingeladen.

In den ersten Jahren war ich bemüht, mich zu integrieren. Das funktionierte im allerersten Jahr, als ich gerade einen Monat neu dabei war, noch ganz gut. Jeder hielt mal Smalltalk mit mir und der Kollegin, die ich damals noch in der Bibliothek hatte, und die auch neu war. Im zweiten Jahr war die Weihnachtsfeier so angesetzt, dass sich wegen unserer langen Öffnungszeiten eine Teilnahme von selbst verbat. Im dritten Jahr wurde die Feier schon eine mittlere Katastrophe. Die Kollegin, die versprochen hatte, mich nach der Feier in meinen Heimatort mitzunehmen, war ohne Absage nicht gekommen, so dass ich schon mal ratlos dastand. Zum Glück bot mir eine gastfreundliche Kollegin wenigstens ein Übernachtungsquartier bei sich an. Ansonsten hätte ich nur unverrichteter Dinge nach einer Stunde Feier den letzten Bus nach Hause nehmen müssen. Bei dieser Feier hielten wir ein Mittelalter-Mahl auf der Burg ab, alle alkoholischen Getränke waren inklusive. Was da ab einem gewissen Getränkepegel von den Chefs so losgelassen wurde, war unter aller Kanone. Da wurde über Kollegen hergezogen, die nicht anwesend waren. Und ich erinnere mich an den Satz unseres Hauptamtsleiters: „Ich habe diesmal nicht die hübscheste Bewerberin als Azubine eingestellt, sondern nur die zweithübscheste.“ Am späteren Abend erzählte der Hauptamtsleiter noch ausgiebig, wie seine Frau ihn mit Kondomen im Handschuhfach des Autos erwischt hatte. Der Hauptamtsleiter ist im alltäglichen Leben wirklich nett und kollegial. Er hat wirklich noch nie „nein“ gesagt, wenn ich für die Bibliothek etwas erreichen wollte. Aber nach dem vierten Glas Wein gibt er solche abartigen Dinge von sich, dass ich ernsthaft ins Grübeln komme. Es gibt ja dieses alte Sprichwort: „Im Wein liegt Wahrheit.“ 😉 Wenn das nun sein wahres Gesicht wäre und die Nettigkeit im Alltag nur Fassade, dann täte es mir sehr Leid um diesen Menschen. Als der Bürgermeister verkündete: „Ich hätte ja einen ausgegeben, aber heute ist ja alles inklusive!“, merkte man, dass er sich ehrlich über diese Geldersparnis freute. Zum Glück sagte meine Übernachtungs-Gastgeberin irgendwann: „Komm, wir gehen, bevor es noch peinlicher wird!“ Wir tranken dann noch bei ihr ein Glas Wein, und das war dann doch noch ein schöner Abschluss des Tages.

Viele Kolleginnen aus der Stadtverwaltung sehe ich übrigens nie bei Weihnachtsfeiern. Sie boykottieren sie grundsätzlich, weil sie es einfach angesichts des allgemein schlechten Arbeitsklimas in der Stadtverwaltung verlogen finden, so zusammen zu sitzen und heile Welt zu spielen. Als mal ausnahmsweise die Außenstellen zu einer Frauentagsfeier eingeladen wurden, habe ich erlebt, wie der Bürgermeister im Beisein eines Kollegen über dessen körperliche Größe gelästert hat. Obwohl er überhaupt nicht so klein ist, ist genau das der wunde Punkt dieses Kollegen, und er war damals bestimmt nicht glücklich. Jetzt hat er übrigens gekündigt. Ob der Grund nur die neuen Herausforderungen sind oder das schlechte Arbeitsklima, das weiß nur er.

Meine Übernachtungs-Gastgeberin von damals hat ebenfalls beruflich neue Herausforderungen angenommen und die Stadtverwaltung verlassen. Die meisten Kolleginnen, die jetzt noch an Weihnachtsfeiern teilnehmen, sind so norddeutsch schweigsam, dass man ihnen bei einem Smalltalk jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen muss. 🙂 Da habe ich echt Glück, dass sich, wenn ich mal teilnehme (das letzte Mal vor zwei Jahren), der junge, nette, gesprächige Kämmerer neben mich setzt, der auch an meinem Heimatort wohnt und mich dann auch nach Hause fährt. Sehr vorteilhaft ist auch, dass er sich nach seiner Familie sehnt und ebenso wie ich daran interessiert ist, schnell die Feier zu verlassen, um nach Hause zu fahren. Bevor es noch peinlicher wird. Bevor der Bürgermeister mit den Bauhof-Kollegen schnapsselige Lieder anstimmt.

Im letzten Jahr wollte der Personalrat wohl keine Feier organisieren. Eine Kollegin hatte noch in letzter Minute Plätze in einem vornehmen Schlosshotel bestellt. Glücklicherweise hatte ich wieder einen langen Öffnungstag und konnte guten Gewissens absagen. Hinterher hörte ich, dass wohl die meisten Kollegen abgesagt hatten und die Weihnachtsfeier nicht zustande kam. In diesem Jahr erhielt ich eine Mail vom Bürgermeister persönlich, er hatte Plätze in einem Hotel reserviert, was zwischen meinem Wohnort und meinem Arbeitsort liegt. Das wäre zwar rein organisatorisch für mich gegangen, aber… Erstens die allgemeine Unlust überhaupt. Und zweitens war die Einladung nur an mich gerichtet. Ich habe aber neuerdings noch einen Bufdi und zwei ehrenamtliche Kolleginnen. Sollte ich nun allein dort hinfahren? Nachdem ich mich einfach nicht zurück gemeldet hatte, kam heute noch ein Anruf: „Kommt ihr zwei denn nun mit?“ Inzwischen hatte ich mich mit meinen Kollegen beratschlagt und eine eigene Feier organisiert. Also klare Absage: „Wir sind vier, und wir kommen nicht! Wir machen unser eigenes Ding!“

Kleiner Nachtrag nach zwei Jahren:

Im letzten Jahr wollte unsere „Kulturtante“ vom Amt die Weihnachtsfeier in letzter Minute organisieren – ganz uneigennützig an ihrem Wohnort. 🙂 Entweder Theater (nur noch verstreut liegende Restplätze) oder Kino und davor oder danach Essen. Das Theater haben alle abgewählt – und ich das Kino gleich mit. Wir haben in unserem Bibliotheks-Team wieder mit Schnittchen nett zusammen gesessen. 🙂

Einen neuen Anlauf vom Amt gab es zum Frauentag, allerdings wieder mal kurzfristig. Eine Vertreterin des Personalrates mailte uns alle freitags an, dass wir am 8. März (am darauf folgenden Mittwoch) im Amt doch DVDs gucken und uns etwas zu Essen kommen lassen könnten. Ich hatte diesen Nachmittag (einen meiner kurzen Arbeitstage) schon längst mit meinem Verein an meinem Wohnort verplant.

Inzwischen haben schon wieder drei Kollegen gekündigt, darunter auch der nette Kämmerer, mit dem ich nach einigen abendlichen Feiern eine Fahrgemeinschaft hatte. Es fehlt nicht mehr viel, dann bin ich mit meinen neun Jahren Betriebszugehörigkeit die dienstälteste Kollegin. 🙂

Diesmal mailte mich die „Lebensgefährtin“ des Chefs an, auch wieder freitags, um zu einem gemeinsames Weihnachtsessen am darauffolgenden Mittwoch an unserem Arbeitsort einzuladen. Kurzfristiger geht es fast nicht. 🙂 Wieder habe ich dieselbe Ausrede wie schon zum Frauentag, denn mein Verein plante auch dieses Mal seine Termine länger und zufälligerweise wieder zu demselben Termin wie das Amt.

Schon bevor das Amt überhaupt „in die Puschen“ kam, hatten wir drei Bibliotheks-Mädels uns am Nikolaustag ein wunderbares Ente-Essen bei meinem Lieblingskroaten gegönnt. 🙂

Plädoyer für das Ehrenamt

Mit einem fröhlichen Brunch feierten wir gestern das 25. Jubiläum unseres Museumsvereins. Als Vorsitzende musste ich eine Rede reden – in Vorbereitung dafür kam bei mir natürlich einiges an Gedanken und Erinnerungen hoch. Die Vereinsgründung war vor 25 Jahren, kurz nach der Wiedervereinigung, eine pragmatische Notwendigkeit. Einige ehrenamtlich tätige Gruppen standen plötzlich ohne rechtliche Grundlage da, wollten aber natürlich weiter arbeiten, also musste irgendwie ein e. V. her. Der damalige Leiter der stadtgeschichtlichen Sammlungen, aus denen ein Museum entstehen sollte (und inzwischen auch entstanden ist), hatte die zündende Idee: Statt für jede Gruppe einzeln einen Verein zu gründen, machen wir doch einfach einen Dachverband für alle heimatlos gewordenen, ehrenamtlich tätigen Gruppen der Stadt und denken uns eine Satzung aus, die für alles passt. Und das passte – bis zum heutigen Tag! In 25 Jahren Vereinsgeschichte mussten wir nur einmal die Satzung ändern, als eine naturkundlich interessierte Gruppe zu uns stoßen wollte.

Mich verbindet heute manchmal eine Hassliebe zu diesem Verein, weil garantiert dann dringend etwas im Verein ansteht, wenn ich auch beruflich in meiner Bibliothek Stress habe. „Kannst du mal eben…“ (einen Antrag schreiben, Unterschriften leisten, die Steuererklärung machen, die Mitgliederversammlung oder eine Vorstandssitzung einberufen…) All das nervige Verwaltungszeugs muss getan werden, sonst funktioniert die Arbeit in den einzelnen Gruppen nicht. Und da ich ja eine dieser Gruppen auch noch seit 25 Jahren leite, ist alles zusammen manchmal ganz schön heftig. Zumal der reine Verwaltungskram einfach eine Fleißarbeit ist, die wenig Anerkennung bringt, weil sie keiner so recht registriert. Meine Gruppe pflegt die plattdeutsche Sprache und bietet regelmäßig in der Stadt plattdeutsche Lesenachmittage oder Abende an. Das ist dann schon eher öffentlich wirksame und nachhaltige Arbeit.

Aber insgesamt, über die Jahrzehnte betrachtet, habe ich in meiner persönlichen Entwicklung von der ehrenamtlichen Vereinsarbeit ganz schön profitiert. Als wir den Verein gründeten, war ich das Küken und bekam gleich den undankbarsten Job als Kassenwart. Mit Kassenführung und Finanzen hatte ich nie was am Hut, ich war ja damals noch Studentin und meist garnicht in meiner Heimatstadt. Eine Stadtführerin, die Finanzbeamtin in Rente war, zeigte mir alles, was ich wissen musste: Einnahmen, Ausgaben, alles gemäß dem Vereinszweck abrechnen, alle Belege sammeln und aufheben. Für mich diesbezüglich eher chaotisches Wesen war das eine Lehre fürs Leben. Genauso funktionierte ja später auch meine private Steuererklärung. Die zweite Lektion, die ich während der Vereinsarbeit gründlich lernte, war freies Reden vor Publikum. Dafür hatte ich zwar ein gewisses Talent, zumindest redete ich bei mündlichen Prüfungen meine Prüfer immer in Grund und Boden :-), aber es war auch immer sehr viel Aufregung dabei. Die damalige Programmgestalterin unserer plattdeutschen Gruppe zog mich von Anfang an immer wieder auf die Bühne, teilte mir immer wieder Texte zu. Auf einer größeren Bühne zu stehen, und dann noch mit einer halben Fremdsprache – das war sehr gewöhnungsbedürftig! Aber ich bekam im Laufe der Jahre immer mehr Routine mit immer weniger Lampenfieber. 🙂 Heute gestalte ich meist die Programme für die Gruppe und schreibe mir oder anderen Mitgliedern viele Texte selbst. Plattdeutsch ist nun meine Zweitsprache und mir in Fleisch und Blut übergegangen. Vorher konnte ich Plattdeutsch zwar verstehen, da meine Großeltern nur so sprachen, aber selbst sprechen fiel mir schwer.

Der dritte Pluspunkt, den ich für mein Vereins-Ehrenamt zu vergeben habe, ist, dass ich das weiterführen konnte, was mir schon im Studium Freude bereitete: wissenschaftliches Arbeiten und Publizieren. Als Verein geben wir eine Schriftenreihe heraus, in der in 25 Jahren schon 35 Hefte erschienen sind. Jeder Autor aus dem Verein hat hier die Möglichkeit, seine Arbeiten zu publizieren. Die Autoren arbeiten ehrenamtlich und der Druck finanziert sich aus dem Verkauf der letzten Hefte. Hier konnte ich mich austoben: Arbeiten zur Biographie eines Volkskundlers, die Aufarbeitung der Geschichte einer historischen Gymnasialbibliothek und drei Bände mit Sagen aus meiner Region mit geschichtlichen Hintergründen. Dazu noch viele kleinere Artikel in Sammelbänden oder Mitarbeit an Anthologien des Vereins. Die ehrenamtliche Arbeit als Autorin öffnete mir eher nebenbei und eher zufällig, also keineswegs von vornherein beabsichtigt oder gar geplant, die Tür zu Verlagen. Weitere Vereine baten mich um Publikationen, mal mit und mal ohne Honorar. Und so kann ich nun auf eine stattliche Bibliographie eigener wissenschaftlicher Veröffentlichungen zurückblicken. Wenn ich noch dazu die plattdeutschen Geschichten und Sketche zähle, die im Laufe der Jahre entstanden sind, dann könnte ich schon fast den Überblick verlieren. 🙂 All das entstand aus ehrenamtlicher Vereinsarbeit heraus.

Der vierte Pluspunkt, den ich für meine ehrenamtliche Vereinsarbeit vergeben kann, ist eigentlich aus heutiger Sicht der entscheidendste. Als ich vor über zehn Jahren arbeitslos wurde und in ein tiefes Loch zu fallen drohte, fing mich eben diese Vereinsarbeit auf. Ich hatte zu tun, ich war unter Menschen und ich konnte alles intensivieren, wozu ich vorher aus beruflichen Gründen keine Zeit hatte, vor allem die Publikationstätigkeit. Mein jetziger Jubiläumsverein wählte mich in der arbeitslosen Zeit zur Vorsitzenden. Ja, sie wählten nicht etwa einen Zeitgenossen mit Prestige und großer Klappe, der etwas darstellte, sondern sie wählten mich, die arbeitslose Frau, die still und kontinuierlich vor sich hin arbeitete in allen ihren damaligen Projekten. Das gab mir natürlich das Selbstwertgefühl zurück, welches damals mit meinem Job zusammen mich gerade zu verlassen drohte.

Die gestrige Jubiläumsfeier war für mich persönlich verbunden mit einer Rückschau voller Dankbarkeit und schöner Erinnerungen, nicht nur an die eben geschilderte Arbeit sondern auch an viele gemeinsame Exkursionen und Veranstaltungen, an viele Begegnungen mit interessanten Menschen. Ich kann jedem, der arbeitslos zu Hause sitzt und Däumchen dreht, nur raten, sich einen Verein zu suchen und ehrenamtlich tätig zu werden. Auch wenn „keine Kohle dabei rumkommt“, diese Arbeit tut dennoch gut und kann die Tür öffnen zu einem richtigen Job. So geschehen nicht nur bei mir, sondern auch bei einem jungen Mann, der vor Jahren neu in die Stadt gezogen war und anfing, in umserem stadtgeschichtlichen Museum ehrenamtlich zu arbeiten. Er war so gut, dass wir ihn weiterempfehlen konnten, und so kam er nach ca. 3 Jahren ehrenamtlicher Arbeit zu einem richtigen Job.

Auch in meiner Bibliothek bin ich seit August „Chefin“ von zwei ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen. Eine dieser Frauen ist eigentlich arbeitslos, aber finanziell so gut abgesichert, dass sie nicht arbeiten müsste. Die zweite Frau ist Invalidenrentnerin. Beide sind zusammen ein engagiertes Team, das, wie ich in meiner arbeitslosen Zeit, einfach aus Freude am Tun arbeitet. Wenn die beiden dienstags und donnerstags in die Bibliothek kommen und mich zur Begrüßung anstrahlen, einfach, weil es ihnen Spaß macht, dort tätig zu sein, dann motiviert es mich mit, weil das Arbeiten mit solchen motivierten Kolleginnen einfach schön ist.

Letztendlich habe ich meiner ehrenamtlichen Arbeit auch diesen Blog zu verdanken. Da ich für meinen Verein eine Website gestalten will, wollte ich vorher einfach mal auf einer eigenen Seite üben und mir etwas Routine erarbeiten, bevor ich den Vereinsblog starte. Den Vereinsblog gibt es zwar noch immer nicht, aber mein eigener Blog existiert nun schon über ein Jahr und ich werde ihn auch beibehalten. Der Vereinsblog wird auch demnächst entstehen, ich habe ihn meinen Vereinskollegen bis zur nächsten Mitgliederversammlung versprochen. 🙂