Der Dienstag begann mit einer Überraschung. Kaum war ich zur Tür rein, stand der „kleine Chef“ mit einer Piccolo-Flasche Rotkäppchen-Sekt und hübschem Süßigkeiten-Gebinde daran auf der Matte. Ups, wieso das? Am Freitag zuvor war der Internationale Frauentag. Dieser ist nun schon im zweiten Jahr Feiertag in M-V und hat uns also ein verlängertes Wochenende beschert. Da im letzten Jahr vor oder nach dem gesetzlichen Feiertag von den Chefs gornix kam, nur eine nette Glückwunsch-Mail, hatte ich nie mehr mit einem Frauentags-Präsent gerechnet. Aber ich lasse mich ja gern mal überraschen. 🙂 Beschenkt wurde ich aber schon vor dem Feiertag von unserer Landtagsabgeordneten, die auch Vorsitzende des Kulturvereins ist, mit einer SPD-Rose.
Wenn der kleine Chef kommt, ist auch der große Chef nicht weit. Der kam aber erst nach der Mittags-Schließzeit, mit einer hübsch gebundenen Gerbera. Dazwischen der übliche Alltagsbetrieb. Oma mit Enkel, Vater mit Sohn, Mütter mit Kindern, Rentner, Schulkinder, alle auf der Suche nach dem ultimativen Lese-Erlebnis.
Ein Kunde kam in kurzer Zeit bereits zum dritten Mal. Er war in der letzten Woche mit einem Freund gekommen, um zu fragen, ob man unseren Saal für eine Familienfeier mieten kann. Nein, kann man nicht. Dazu sind die Räume im Bürgerzentrum da. Bei dieser Gelegenheit schauten sich die Männer das ganze Haus an und blieben an unserem Bücherflohmarkt-Wagen hängen. Dabei wurde ein Krimi gekauft. Am nächsten Tag kam der Käufer wieder und kaufte einen zweiten Krimi. Ich führte ihn dann an das Krimi-Regal in der Bibliothek und gab ihm eine Kurz-Übersicht über die gängigen Krimi-Reihen, ihre Kommissare und die Handlungsorte. Einige Doppel-Exemplare aus den Reihen, Schenkungen der Leser, standen auch auf unserem Flohmarkt-Wagen. Also stand der Mann an diesem Dienstag wieder auf der Matte und kaufte zwölf Bücher vom Flohmarkt-Wagen, darunter auch drei Romane für seine Frau. Ich glaube, das wird ein Stammkunde und vielleicht auch irgendwann ein Nutzer mit Bibliotheksausweis. 🙂
Auch ein älterer Mann schaute rein: „Haben Sie nicht was vom Krieg? Am besten als Hörbuch, denn Lesen fällt mir schwer?“ Nein, Hörbücher vom Krieg habe ich nicht, Bücher darüber schon. Gerade Männer dieser Generation arbeiten immer noch ein Kindheitstrauma auf und wollen Bücher mit Kriegserinnerungen. Ein Ehepaar hat wohl nun schon seit mehr als zehn Jahren alles verschlungen, was es in der Bibliothek über den Krieg, über Ostpreußen und über Flucht und Vertreibung gibt. Und sie kriegen immer noch nicht genug davon. Wenn ein neuer Band der Zeitzeugen-Reihe „1945“ aus der Redaktion unserer Lokalzeitung kommt, dann sind sie die ersten Leser. Wann ist der Krieg in den Köpfen endlich vorbei? Sicher nicht, solange neue Kriege schwelen und dieses Trauma immer wieder befeuern.
Immerhin hatte ich mit dem Mann ein nettes Gespräch, und er fing auf einmal an, mit mir Plattdeutsch zu sprechen. Ich antwortete up Platt und so plätscherte das Gespräch gemütlich eine Weile up Platt weiter. Ja, es gibt sie noch, die originalen Plattsnacker. Als ich neulich vom Bus kam, unterhielten sich ganz angeregt zwei Frauen up Platt. „Ik möt nah`n Dokter.“ … Das klang so herrlich, dass ich am liebsten daneben stehen geblieben wäre. 🙂
Nachmittags begrüßte ich die ersten Touristen der Saison, die erste Radwanderkarte ging über den Tresen. Das Bibliotheks-Haus ist ja auch Tourist-Information, und als einzige Mitarbeiterin im Haus zählt dies zu meinen zahlreichen Aufgaben.
So, wie der Tag mit einem Geschenk begann, endete er auch mit einem Geschenk. Ein Vater brauchte die „abgelegten! Bücher und Hörbücher seiner Kinder. Die meisten waren aus der Reihe „Die drei ???“ und „Die drei ??? Kids“ Diese Reihen begleiten mich schon sehr lange. Meine Vorgängerin hatte sie nicht im Angebot. Aber gleich zu Anfang meiner Tätigkeit wünschten sich die Kinder diese Reihe als Buch und CD. Also schaffte ich im Laufe der Jahre immer mal Bücher und CDs an. Die kleinen Fans der ersten Stunde konnten eigentlich nie genug davon kriegen, aber ich musste meinen schmalen Etat weise einteilen. Wenn es eine Förderung gab oder das FerienLeseLust-Projekt finanziert wurde, kaufte ich mal mehr, wenn kein Geld da war, mal eben weniger davon. Also gab es immer Lücken in diesen Reihen. Die Serie war auch nicht immer gleich beliebt. Es gab Jahre, da vegetierten die Bücher und CDs in der Bibliothek vor sich hin, bis dann wieder eine Beliebtheits-Welle kam und alle ausgeliehen waren. Da ich bekanntlich auch kein Fan davon bin, Reihen-Abhängigkeiten zu fördern, hätte ich sowieso nie alle Bücher der Reihen vollständig gekauft. Dafür gibt es viel zu schöne andere Kinderbücher. Aber nun hatte ich sei, stapelweise. Das passt, denn gerade ist die Reihe wieder sehr gefragt und im Laufe der Jahre haben auch schon einige Hörbuch-CDs ihr Leben ausgehaucht. Wenn sie durch so viele Kinderhände gehen und so oft fallen gelassen werden oder irgendwie zerkratzen, dann ist das der natürliche Lauf der Dinge. 🙂 Aber jetzt ist für reichlich Nachschub oder Ersatz gesorgt. Die Fans der ersten Stunde sind schon erwachsen und haben ihr Studium oder ihre Ausbildung absolviert. Aber die kleinen neuen Fans wird es freuen.
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