Wintergedanken

Während ich abends auf dem dunklen Busbahnhof meines Arbeitsortes stehe, dreifach eingemummelt mit Kaschmirpullover, Blazer und meinem „Federbett“ (meinem Daunenmantel), gehen mir folgende Gedanken durch den Kopf: Wir sind heute bestens gegen die Winterkälte ausgerüstet: Kleidung, die wärmt, aber dennoch nicht kratzt, einengt, kalten Wind oder Nässe durchlässt oder uns an bestimmten Stellen zum Schwitzen bringt, Heizungen in den Wohnungen und Häusern, die wir so programmieren können, dass es warm ist, wenn wir aufstehen oder wenn wir abends nach Hause kommen, geheizte Autos und Busse und sogar manchmal geheizte Garageneinfahrten. Dennoch empfinden wir den Winter (wenn dann wirklich mal Winter ist) als unangenehm kalt. Wir jammern über die Heizkosten, den Schnee, der geräumt werden muss, die Zeit, die wir länger brauchen auf dem Weg zur Arbeit, die vielen Klamotten, die wir übereinander ziehen müssen und über die Kälte. Die Einzigen, die sich ab und zu freuen, sind die Kinder, wenn sie im Schnee toben und Schlitten fahren oder auf dem See Schlittschuh laufen können.

Ich habe heute darüber nachgedacht, wie es wohl unseren Vorfahren vor 100 Jahren an solchen Wintertagen erging. Die Frauen froren bestimmt mehr als die Männer, denn sie waren ja nur in Röcken und Mänteln unterwegs. So wie ich heute bekleidet war, mit dicken Jeans und Leggins darunter, daran war ja damals nicht ansatzweise zu denken. Schon allein das morgendliche Aufstehen wird unsere Vorfahren Überwindung gekostet haben, besonders, wenn kein Dienstpersonal zur Verfügung stand. Keine warme Heizung beim Aufstehen, kein warmes Wasser aus der Leitung, keine morgendliche warme Dusche, keine Kaffeemaschine, die nach wenigen Handgriffen heißen Kaffee bereit hält …!

Wie es ist, in einer kalten Wohnung aufzuwachen und erst den Kachelofen heizen zu müssen, habe ich (nach einer Kindheit in einem Haus mit Zentralheizung) als Studentin und in der ersten eigenen Wohnung (bis 1993) noch selbst erlebt. Auch die drei Kachelöfen in meiner allerersten Bibliothek mussten noch Ende der 1980er Jahre jeden Morgen bei Dienstbeginn von den diensthabenden Mitarbeitern, also auch von mir, angeheizt werden. Bis sie dann Wärme abstrahlten, dauerte es eine Stunde. Da half nur: warm anziehen!!! Waren die Öfen dann angeheizt, ging die Wärme erstmal nach oben, denn sowohl die Bibliothek als auch meine Studentenbude und meine erste Wohnung hatten sehr hohe Räume. Wobei es dann ja auch sehr gemütlich war, am warmen Kachelofen zu sitzen oder in der Ofenröhre Bratäpfel zu brutzeln. J Richtig fies fand ich es aber, nach dem Wochenende am Sonntag gegen 23 Uhr in die Leipziger Studentenbude zu kommen. Da war immer die Freude groß, wenn meine Mitbewohnerin mal eher gekommen war und den Ofen schon angeheizt hatte. Ansonsten half es nur, eine Wärmflasche mit ins Bett zu nehmen. Damit verbunden sind natürlich auch die Erinnerungen an den ollen Kohlenschuppen hinter dem Bibliotheksgebäude, dessen Vorhängeschloss ständig eingefroren war, an den tiefen Kohlenkeller meiner Studentenwohnung, zu dem eine steile, dunkle Treppe führte und den Kohlenkeller der Wohnung, in der ich mit meinem Ex-Mann lebte. Die Briketts wurden lose, in Säcken geliefert. In den Wohnungen hatten wir Glück, da wurden sie direkt durch die Kellerluken in die Keller geschüttet. In der Bibliothek fanden wir dann regelmäßig vor dem alten Kohlenschuppen große Brikett-Berge vor, die wir per Hand in den Schuppen transportieren mussten. Jeder, der konnte, packte mit an, und sowohl für diese Sondereinsätze als auch für das tägliche Heizen der Öfen in der Bibliothek gab es ein kleines Extra-Heizgeld.

Das ging alles irgendwie, und nach der Kindheit im zentralgeheizten Haus empfand ich es sogar manchmal wie ein spannendes Abenteuer und genoss es, nach dem Anheizen mit Holzscheiten und Kohleanzünder und nach dem Entsorgen der Asche eine Weile in die Flammen zu schauen. Vielleicht war ich damals abgehärteter und bin heute zu verwöhnt?