über den Schatten springen und gemeinsam einen Hügel besteigen

Es gibt Personen, mit denen die Chemie überhaupt nicht stimmt. Am besten geht man ihnen aus dem Weg. Wenn man aber verdonnert wird, mit ihnen eng zusammenzuarbeiten, dann hat man ein Problem. Genau in so einer Situation befand ich mich seit Mai diesen Jahres. Ich muss mit jemandem zusammenarbeiten, der (die) auf ihrer Karriereleiter bisher viele Menschen reichlich ausgenutzt hat, die dabei verbrannte Erde hinterlassen hat, so dass ihr ein sehr schlechter Ruf vorauseilt, und die mich in der Vergangenheit tief, sehr tief, verletzte.

Bis vor kurzem war es ein Kampf. Sie fuhr die Ellenbogen aus, ich ebenso. Sie versuchte zu „leiten“, ich übte mich in Totalverweigerung und zog mein Ding durch. War ich doch auch vor der „Leitung“ eigenständig mehr als erfolgreich gewesen. Sie erhielt ständig Rückendeckung vom Bürgermeister, ich ließ mich nicht beeindrucken und wehrte mich verbal mit Rückendeckung vom Hauptamtsleiter. Und zwischendurch immer dieses Aufatmen, wenn sie mal für eine Woche weg war.

In der Theorie ist immer alles ganz einfach. Bleibe in deiner Mitte, segne die Situation und suche das Gute in ihr … – aber wenn man gerade unter Dampf steht, dann mag man noch so aufgeklärt sein, da ist man mitten in den Opfer-Fallstricken. Immer und immer wieder. Ich sah in ihr die blöde Kuh, die ihren Professorinnen-Titel vor sich her trägt, die Zuarbeiten von allen nimmt und als ihre verkauft und sich damit aus einer Honorarstelle in eine gut dotierte Festeinstellung beamt. Sie sah in mir die kleine, unterbelichtete, geltungssüchtige Bibliothekarin, der sie, die liebe Göttin, großzügigerweise eine Chance gibt und die ja sooo undankbar ist. So ungefähr stellte ich mir das jedenfalls vor. Und so hat sie das auch mal gesagt, als ich vor Jahren mal eine Ausstellung in „Ihrem“ Museum gestalten durfte (was damit endete, dass Texte und Inhalte von mir total verdreht als ihre präsentiert wurden). Eine schwierige Beziehungs-Kiste, die nun schon ein Jahrzehnt währte.

Ja, währte. Neuerdings gibt es einen Prozess der Annäherung, ganz langsam, ganz vorsichtig, ganz schleichend. Ich weiß nicht genau, was es ausgelöst hat oder ob es überhaupt ein einzelnes Ereignis war, dass es in Gang gebracht hat. Sie war in letzter Zeit oft in der Bibliothek, setzte sich an den Besucher-PC, schrieb etwas und beobachtete mein Tun. Ich fühlte mich oft genervt davon und fand in solchen Fällen meistens, dass es mal wieder an der Zeit war, im Bestand zu arbeiten, zumal ja jemand nun da saß und den Eingangsbereich im Auge hatte. Dennoch bekam sie natürlich meine Gespräche mit Lesern mit und auch die Arbeit mit den Kindern konnte sie beobachten. Ich beobachtete sie ebenso und fand heraus, dass vieles, was mich und die Kollegen im städtischen Museum an ihrem Verhalten nervte, keine Bösartigkeit war, sondern Gedankenlosigkeit. Sicher war da die „karrieregeile“ Seite, das Klauen von Ideen, das sich und den Professoren-Titel gut vermarkten können. Aber vieles war einfach nur gedankenloses Handeln ohne Plan, aus den jeweiligen Befindlichkeiten im Elfenbeinturm heraus. Einfach nur so und im nächsten Moment einfach wieder anders, in ihrer eigenen Welt. Bei meiner Sagenlesung reagierte sie überraschend ehrlich begeistert und fand warme Worte für mich. Da dachte ich noch, das sei Show. Zu tief waren die alten Verletzungen. Zu tief die Angst, dass, wenn ich wieder Vertrauen fasse, ich wieder ausgenutzt werden könnte. Ich hielt also weiter innerlich Abstand. Bei der Sommerleseclub-Abschlussveranstaltung setzte sie sich einfach in die letzte Reihe, obwohl ich sie gebeten hatte, währenddessen den Eingangsbereich im Blick zu haben. Wieder war ich genervt. Aber sie ließ sich nicht von meiner Ablehnung beeindrucken, blieb dabei und fand später wieder ehrlich lobende Worte. Für mich ein Anlass, eine alte Wunde anzusprechen. Noch vor wenigen Monaten wollte sie dieses Projekt vereinnahmen und als „Mittelalter-Lesewettbewerb“ fortführen. Was hatte ich damals gekämpft und verbal um mich gehauen! Kein Argument zählte. Jetzt sprach ich mit ihr offen darüber, wie ich mich damals gefühlt hatte, was für ein langer Weg es war, diese Kinder, die heute für ihre Leseleistung geehrt wurden, bis hierher zu begleiten und zu motivieren. Mit in sehr intensiver Arbeit ausgewählten Büchern, die Spaß machen und einen leichten Leseeinstieg ermöglichen. Die Antwort war, zumindest ansatzweise rauszuhören, eine vage Entschuldigung. Danach fiel dann von Zeit zu Zeit die Bemerkung „Es sind Fehler gemacht worden und wir müssen nun nach vorn schauen.“

Während der ganzen Zeit der „gepflegten Feindschaft“ war ich immerhin so Herrin meiner Sinne, dass ich sachliche Absprachen emotionslos mit ihr treffen konnte. Es ging um Museumstechnik, Schlüssel, die hinterlegt werden mussten, um bauliche Probleme und immer öfter um Vertretungen, denn eine Aufsichtskraft für die über der Bibliothek befindliche Ausstellung war erst lange im Urlaub und dann lange krank. Ja, ohne Emotionen sachlich etwas klären, das ging, da konnte ich im „Hier und Jetzt“ sein, aber ansonsten hielt ich gern weiter Distanz.

Doch in den letzten Tagen bröckelte die Distanz etwas, wir sprachen mehr miteinander als sonst, ich fühlte mit ihrem Mann mit, dem eine OP bevorsteht und ich merkte, dass sie insgesamt weicher, offener war. Kann ich trauen oder kommt der nächste, hinterhältige Hammer hinterher? Ist es diesmal wirklich echt oder wieder nur gespielt? Mein inneres Kind wehrt sich noch. Es will nie wieder leiden. Verständlich.

Vor kurzem fragte sie mich, ob ich den Weg zu einem Denkmal kenne, welches auf einem Hügel hinter der Stadt liegt. Bezeichnenderweise war es ein Denkmal, welches mit der Aufhebung der Leibeigenschaft in Mecklenburg in Verbindung steht. Ich stand verwundert neben mir, als ich mich sagen hörte: „Ich war auch noch nie dort oben. Lassen Sie uns doch gemeinsam dorthin gehen!“ Während ich mich noch über mich selbst wunderte, nahm sie dankbar an. So kam es, dass wir gemeinsam einen Hügel bestiegen, ich mit meinem inneren Kind an der Hand. Raus aus der Schwüle in der kleinen Stadt in für mecklenburgische Verhältnisse luftige Höhen mit einer schönen Aussicht. Es war schön, bei leicht kühlendem Wind die Lindenallee entlang zu gehen und einfach entspannt miteinander zu reden. Es war einfach nur wohltuend. Unten wieder angekommen, brachen bei mir noch einmal letzte Blockaden und ich sprach einen noch ganz tief schmerzenden inneren wunden Punkt an. Während mir fast die Tränen kamen, beschrieb ich, wie ich mich damals gefühlt hatte. Sie war betroffen und ich merkte, dass sie die von mir beschriebenen Gefühle mitfühlte. Es war nur ein kurzer Moment, dann gingen wir beide wieder auseinander, sie an ihre Arbeit und ich, noch ganz durcheinander, ins Café zur Mittagspause. Der Smalltalk und das leckere Eis dort taten mir gut. Danach arbeitete ich, soweit in der schwülen Luft möglich, etwas entspannter. Heute noch einmal eine Begegnung, wieder entspannt und nett. Ich sagte zu, in meinem Urlaub das Haus zum Tag des offenen Denkmals zu öffnen, damit sie ihren Mann im Krankenhaus besuchen kann. („Da hat sie dich wieder um den Finger gewickelt!“, schimpft mein inneres Kind. Und mein Ego flüstert: „Sei still, es ist doch schön, das Haus zu präsentieren! Und wenn da andere Leute aus der Verwaltung führen, die im Haus nicht arbeiten, gibt das nur wieder Chaos!“) Später empfing sie noch einen Lehrer, der ihr angeboten hatte, didaktische Konzepte für Museumsaktionen zu entwickeln. („Da hat sie wieder jemanden Dummes gefunden!“, maulte mein inneres Kind.) Na und, soll sie doch. Das bin doch nicht ich, die sie da ausnutzen will. Es liegt ja in der Verantwortung des Lehrers, sich einspannen zu lassen oder auch nicht. Als sie mich dem Lehrer vorstellte, bemerkte ich eine kleine Veränderung: „Das ist unsere Bibliotheksleiterin.“ Hä? Hat sie da eben wirklich „Leiterin“ gesagt? Bisher war sie (seit Mai) immer darauf bedacht, „die Leiterin des Hauses“ oder „die Kuratorin“ zu sein und ich wurde immer als „unsere Bibliothekarin“ vorgestellt. Auch der Bürgermeister hatte mir ja mehrmals deutlich zu verstehen gegeben, dass ich keine Leiterin bin, sondern nur eine Angestellte. Also nicht dass mir diese Hierarchien etwas bedeuten würden. Wichtig sind diese Begrifflichkeiten nur in Zusammenhang mit meiner kreativen Handlungsfreiheit in der Bibliothek und auch mit der Einwerbung der Landesförderungen. Denn die erhalten nur Bibliotheken, die fachgerecht durch Bibliothekare geleitet werden.

Ja, es scheint so, als ob wirklich Krusten aufbrechen, letzte Verletzungen noch einmal hochkommen, um geheilt zu werden. Es scheint so, dass eine lange Feinschaft ihr Ende findet. Es deutet sich vorsichtig an, dass ich auch in diesem Bereich mein sonst so sonniges Gemüt und mein Urvertrauen wieder ausleben kann. Ein Neuanfang am Neumondtag. Nun sind erst einmal zwei Wochen Abstand angesagt, sie in ihrer anderen Arbeitsstelle und ihren Mann pflegend, ich im Urlaub. Und dann sehen wir weiter.